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Verschwörungstheorien und Glaube

Derzeit kursiert im Netz gerade eine rührender Beitrag von Xavier Naidoo, der sich auf diesem Weg bei all seinen Freunden und Fans für seine Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit COVID-19 entschuldigt. Natürlich will er mit seiner Bitte um Verzeihung ernstgenommen werden. Keiner sollte ihm in etwa unterstellen, dass all das nur ein großer PR-Gag für eine anstehende Tour ist. Das wäre ja eine Verschwörungstheorie. Ich will ihm das heute und hier ebenfalls nicht unterstellen und nehme ihm das als ehrliche Buße ab.

Ich denke dabei allerdings über so viele meiner Glaubensgeschwister in den vielen Kirchen und Gemeinden nach, die ebenfalls verschiedenen Verschwörungstheorien auf den Leim gegangen sind und sich dafür wahrscheinlich nie entschuldigen werden. Sie haben damit provoziert, dafür propagiert, andere vor den Kopf gestoßen und beleidigt. Sie waren kämpferisch, ja sogar hier und da militant. Alle anderen waren (oder sind es immer noch) Blind in ihren Augen, nur sie allein (mit einer kleinen Gruppe der Auserwählten) waren die Träger großer Offenbarungen. Sie allein kannten Gottes Ratschluss und haben gleichsam, wie Johannes auf der Insel Patmos, die große Apokalypse (Enthüllung) gesehen. 

Einige dieser Verschwörungstheoretiker haben Gemeinden gespalten, Unruhe und Unfrieden gestiftet, Familien auseinandergerissen, Pastoren und Leitungskreise diskreditiert. Und dann irgendwann einmal, stehen viele Betroffene vor einem Scherbenhaufen, Vertrauen ist oft unwiderruflich zerstört, es hängen immer noch Verwirrung und Verletzung im unsichtbaren Raum. Die meisten wählen dann den Rückzug ins ahnungslose Schweigen. Vielleicht vergisst man all das auch bald wieder. Vielleicht. Allerdings ist Vergessen der ärgste Feind von Verarbeiten.

Warum schließen sich Menschen überhaupt Verschwörungstheorien an? Die Gründe dafür sind gewiss vielschichtig.

  • Immer wenn Krisen die gesellschaftliche Ordnung erschüttern, versuchen wir all das, was gerade um uns herum geschieht zu begreifen. Erst wenn wir Dinge be-greifen, also im Griff haben, gibt es uns das Gefühl von Kontrolle. Und Kontrolle ist genau das, wonach wir uns in unsicheren Zeiten sehnen. Wenn uns also die üblichen, populären Erklärungsmodelle nicht ausreichen, suchen wir einfach weiter nach alternativen Modellen, die uns mehr Sicherheit oder zumindest eine subjektive Befriedigung geben. Daran ist zunächst nichts auszusetzen, denn genau so funktioniert auch sogar die Wissenschaft: These, Antithese, Synthese. Allerdings machen Krisenzeiten Menschen selbst für die absurdesten Synthesen offen.
  • Angst ist eine der stärksten menschlichen Emotionen. Wir Menschen haben drei Hauptstrategien gegen Angst entwickelt: fight, flight or freeze (Kampf, Flucht oder Erstarren). Jeder der drei Reaktionen kann uns in einer echten Alarmsituation unter Umständen das Leben retten. Eine Verschwörungstheorie kann für jede der Reaktionen eine angemessene Überlebensstrategie sein. Für die einen ist eine solche These (Theorie) als Mittel zum Kampf, für die anderen eine Art Flucht aus der Realität und andere wiederum erstarren angesichts der „Mächte“, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Egal wie eine Strategie der Verschwörungstheorien eingesetzt wird, sie definiert klar und unmissverständlich den Feind. Und diese Sicht ist wichtig für das Überleben, egal ob dieser Feind bei näherem Hinsehen evtl. doch nur eine Fiktion ist.
  • Einige Menschen verfallen leichter Verschwörungstheorien als andere. Warum ist das so? Nun, ich will nicht wie Sigmund Freud klingen, aber es liegt an der Mutter. Genauer gesagt liegt es daran, wie jemand seine/ihre frühe Kindheit erlebt hat und wie er/sie aufgewachsen ist. Gab es in der frühen Kindheit eine sichere Bindung, spürbare Liebe, klare Regeln und ein fürsorgliches Zuhause, dann bringen diese Menschen auch als Erwachsene viel mehr Selbstsicherheit als stabile Bausteine  für ihre Zukunft mit. Wenn es in der Kindheit eines Menschen all das nicht gegeben hat, oder nur in verminderter Qualität und Quantität, dann empfinden die Heranwachsenden ihre Welt als einen bedrohlichen Ort. Diese zweite Gruppe neigt daher eher zu Verschwörungstheorien.
  • Verschwörungstheorien entstehen aber auch immer wieder bei Personen, die einen problematischen oder evtl. sogar traumatischen Bezug zu Autoritäten und Institutionen haben. Auch hier kann das aus einem „Vaterkomplex“, einer schlechten aber prägenden Erfahrung mit Führungspersonen, einem Machtmissbrauch oder Ähnlichem herrühren. Bezeichnend ist allerdings, dass Verschwörungstheoretiker in der Regel ein Problem mit Behörden, Autoritäten oder Institutionen haben und dass sie ständig irgendwie „dagegen“ sind (zumindest in Organisationen, wo nicht sie das letzte Sagen haben) – in Freundeskreisen, Firmen, Gruppen, Gemeinden oder im Staat an sich.
  • Ein letzter Grund, den ich hier anführen möchte, gehört in die Kategorie psychische Störung. Es handelt sich dabei um das Paranoia. Bei Paranoia (Gr. para = neben und nous = Verstand) handelt es sich um einen Verfolgungswahn. Wikipedia beschreibt diesen Wahn folgendermaßen: Die Betroffenen leiden an einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Umgebung in Richtung einer feindseligen (im Extrem bösartig verfolgenden) Haltung ihrer Person gegenüber. Die Folgen reichen über ängstliches oder aggressives Misstrauen bis hin zur Überzeugung von einer Verschwörung anderer gegen sich. Mit dieser Diagnose sollte man bei Verschwörungstheoretikern allerdings aufpassen, wenn man kein Experte in Psychologie ist.

Nicht jeder, der eine andere Meinung zu einem Thema oder einem Weltgeschehen hat, ist automatisch ein Verschwörungstheoretiker. Eine Verschwörungstheorie gibt eine alternative und oft konträre Sichtweise sowohl auf erwiesene historische und wissenschaftliche Tatsachen als auch zum tagespolitischen, gesellschaftlichen Geschehen. Allerdings ist in den Augen der Verschwörungstheoretiker ihre Sicht der Dinge alternativlos. Daher sind sie nicht selten kämpferisch und militant, weil sie sich Systemen oder Regierungen gegenübersehen, die ideologisch unterwandert sind.

Was haben nun Verschwörungstheorien und Glauben miteinander zu tun? Vieles und nichts! Man mag den Christen mit ihrem „biblischen, vorsintflutlichen Weltbild“ ja auch unterstellen, dass es ebenfalls eine Verschwörungstheorie ist. Denn auch die Bibel erzählt uns eine „alternative Geschichte“ von einem Gott, der die Welt schuf, wie diese dann durch Sünde zerstört wurde und dann auch eine Geschichte der Rettung der Welt durch Kreuz und Auferstehung des Messias, der dann eines Tages sein Friedens-Reich mitten auf unserem Planeten aufrichten wird. Das nennen wir dann, trotz aller Einsprüche und Widersprüche der gegenwärtigen, oft brutalen Realität, Gottes Heilsgeschichte. Christen sind überzeugt, dass das die Wahrheit ist, auch wenn es für jemand anderen glatt als Verschwörungstheorie durchgehen würde. 

Allerdings würde ich jeden Christen immer davor warnen, irgendwelchen Verschwörungstheorien glauben zu schenken. Warum?

  • Diese Welt ist voller Betrüger und sie sitzen in allen Blöcken und Systemen. Daher müssen wir grundsätzlich wachsam sein. C. S. Lewis hat mal gesagt: „Der Teufel schickt die Irrtümer immer paarweise auf die Welt.“ Man kann daher immer von beiden Seiten vom Pferd fallen. Aber die Bibel ermutigt uns dazu: Prüfet alles, aber das Gute behaltet! 1. Thess. 5,21. Bei dieser Haltung bewahren wir uns beides: ein reines Herz und einen gesunden kritischen Geist.
  • Gott setzt Regierungen ein (Röm. 13). Das bedeutet nicht, dass wir als Christen die unkritische und stille Masse sein müssen – das waren die Jünger auch nicht. Allerdings sind Regierungen grundsätzlich dazu da, um das Chaos einer gefallenen Welt in Schach zu halten. Mal gelingt es ihnen besser mal schlechter. In der Offenbarung zeigt uns dann Johannes (bzw. Jesus), dass hinter dem römischen Imperium eigentlich das „große Seemonster aus dem Meer“ steckt – der Antichrist.  Aber der Weckruf Jesu in der Offenbarung heißt nicht: Lehnt euch auf gegen diese Verschwörung, greift zu den Waffen und killt den alten Drachen, sondern: steht auf zum Zeugnis für das Lamm, selbst wenn es euch das Leben kostet. 
  • Verschwörungstheorien haben sehr oft eine verkürzte und simplifizierende Weltsicht, egal ob wir die Flacherde-, die UFO-, die Mondlandungs- oder andere Theorien nehmen. Obwohl manche von diesen Theorien harmlos sind, sind andere total absurd oder sogar gefährlich. Sie avancieren oft selbst zu einer Art von Religion. 
  • Verschwörungstheorien machen Menschen oft bitter und misstrauisch. Das sind keine Werte und Charaktereigenschaften, mit dem ein Christ leben sollte. Menschen, die anderen grundsätzlich misstrauen, haben dieses Problem nicht nur „feindseligen Systemen“ gegenüber, sondern auch gegenüber ihren eigenen Geschwistern, Leitungen und gegenüber jeder Arbeit in der Gemeinde grundsätzlich. Der Hebräerbrief warnt uns vor dieser Art der Bitterkeit: Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird; und achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leidet, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosst und euch zur Last wird und durch sie viele verunreinigt werden. Hebr. 12,14-15. Diese Menschen werden sowieso irgendwann einmal die Gemeinde verlassen, deshalb sollte man sie evtl. vorher darum bitten, es zu tun!
  • Und noch ein Letztes. Ich kenne keinen, den seine Verschwörungstheorien zu einem großzügigeren, liebevolleren, hoffnungsvolleren, vertrauensvolleren und positiveren Menschen gemacht haben. Eher das Gegenteil war die Regel.

Mein Appell an jeden Verschwörungstheoretiker: Nehmt euch ein Beispiel an Xavier Naidoo und tut Buße darüber. Und zumindest darüber könnt ihr dann eigenverantwortlich entscheiden, ob es echt oder nur ein fake war. 

In Liebe,
Jacob Wiebe