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Passionszeit

Die Passionszeit ist für die weltweite Kirche der bedeutendste Abschnitt des Kirchenjahres. Traditionell beginnt diese Zeit, in der wir im Besonderen an den Leidensweg unseres Herrn erinnert werden, mit dem Aschermittwoch und sie endet mit dem Karsamstag vor dem Ostermorgen. Kalendarisch variieren diese Termine von Jahr zu Jahr, weil sie sich am Mondkalender orientieren. Dieses Jahr ist die Passionszeit vom 22. Februar bis zum 8. April.

Für die meisten Christen sind das 40 Tage des Fastens. Sie widmen sich während dieser Zeit des Jahres in besonderer Weise der Besinnung und dem Gebet. Ich will dich dazu ermutigen, dieses Jahr mit mir und vielen anderen Christen, diese Passionszeit zu erleben.

Fasten bedeutet für viele zunächst Verzicht. Aber Fasten ist viel mehr, es ist ein Runterkommen aus dem üblichen Stresslevel, ein Entkoppeln aus lang eingeübten Routinen und Gewohnheiten und ein Fokussieren auf wichtige und wesentliche Inhalte unseres Lebens.

Ein Nobelpreis für Fasten

Wir wissen heute aus wissenschaftlicher Sicht, was das Fasten als Essensverzicht mit dem Körper macht. Im Jahr 2016 bekam der japanische Zellbiologe Prof. Dr. Yoshinori Ohsumi einen Nobelpreis für die Entdeckung der Autophagie. Dr. Ohsumi konnte erstmals nachweisen, dass Zellen den evolutionären Vorgang der Autophagie aktivieren, wenn sie „hungern“. Bei einer vollen Kalorienrestriktion ab 14 oder mehr Stunden wird der sogenannte autophagische Prozess eingeleitet, bei dem beschädigte Zellorganellen von einer Membran überzogen und „verdaut“ werden. Dadurch erlangen vor allem gealterte Zellen nicht nur ihre vollständige Funktionsfähigkeit zurück, der „Selbstverzehr“ produziert noch zusätzlich Energie, die dem Körper zur Verfügung steht. So können gealterte Zellen, die faktisch am Ende ihres Lebenszyklus stehen, den bevorstehenden Zelltod durch dieses „Recycling Programm“ hinauszögern, indem die ganzheitliche Funktionalität wiederhergestellt wird. Jeder, der bereits einen oder mehrere Tage gefastet hat, kann diese Erneuerung im eigenen Körper und Geist förmlich spüren.

Digital detox

In unserer postmodernen, digitalen Gesellschaft wird aber nicht nur unser Körper „zugemüllt“ – dasselbe geschieht auch mit unserem Geist und unserer Seele. Tausende Nachrichten und Anforderungen stürmen von allen Seiten Tag für Tag auf uns ein: „folge mir“, „like mich“, „schau dir meine Tiktok-, Instagram-, Facebook-Story an“, „poste einen Reel“, „beantworte meine Mail“, „kauf das“, „spiel das“, „komm zu der Party, zu dem angesagten Club“ – ich könnte seitenlang so fortfahren. Kommt dir das bekannt vor? Ich durfte letztens jemandes Handy anschauen, wo viele Apps tausende von roten Zahlen aufwiesen: unbeantwortete Mails4400; irgendwelche Benachrichtigungen377 auf sämtlichen Kanälen607 der sozialen Medien5022 und Chatgruppen936. Und ich weiß, dass diese Person leider kein Einzelfall ist. Viele haben über das kleine Ding in ihren Händen schon längst die Kontrolle verloren. Die wichtigste Tugend des digitalen Zeitalters ist „hungern“, d. h. die Kontrolle und Beherrschung der digitalen Medien. Wenn wir das nicht lernen, beherrschen diese Medien uns. Digitales Fasten (auch digital detox genannt) ist heute mindestens genauso wichtig, wie das traditionelle Fasten.

Unser Geist und Körper sind oft so sehr „zugemüllt“, dass wir keine anderen Impulse mehr aufnehmen können – auch keine geistlichen Impulse. Eine besinnliche Passionszeit kann da eine echte Hilfe sein. Ich will dir nun einige Vorschläge machen, wie du diese 7 Wochen für dich gestalten kannst.

  1. Entscheide dich, was dein Fasten alles beinhalten soll und sprich mit jemandem darüber, dem du gegenüber auch Rechenschaft ablegst.

    Nahrungsfasten kann z. B. beinhalten, dass du für bestimmte Zeiten fastest: es kann Intervallfasten sein (hier lässt du regelmäßig eine oder mehrere Mahlzeiten am Tag aus), Totalfasten für ein oder mehrere Tage. Es kann sich aber auch auf bestimmte Nahrungs- und Genussmittel beziehen: z. B. Verzicht auf Weizenprodukte, Cola und Süßgetränke, Kaffee, Süßigkeiten, Kohlenhydrate, Fleisch, usw.

    Wenn dein Fasten auch einen digital detox mit beinhalten sollte, dann entscheide auch hier im Vorfeld, welche Medien oder Apps dein Fasten beinhalten soll. Z. B. kannst du hier auf diese Dienste verzichten: Netflix und ähnliche digitale Plattformen, bestimmte soziale Apps (wie Insta, TikTok, Snapchat, Twitter, Pinterest…), Chatanbieter (WhatsApp, Telegram, etc.), YouTube, Fernsehen, usw. Du kannst dich aber auch dafür entscheiden, deine Handyzeit von z. B. 5 Stunden täglich auf 2 Stunden zu reduzieren (dein Smartphone kann dir deine Bildschirmzeit anzeigen!).

    Wenn du dich für eine Fastenform und ein Fastenthema entscheidest, dann zieh das wirklich auch 40 Tage lang durch! Nach einer kurzen „Entzugsphase“ (ca. 3-4 Tage), wirst du bereits die ersten Benefits spüren. Viele nehmen sich zu viel vor und können es dann nicht 40 Tage lang durchhalten. Bitte, mach lieber weniger, dafür aber nachhaltiger!

  2. Entscheide dich ebenfalls im Vorfeld, auf welchen geistlichen Input du dich in dieser Zeit ausrichten willst.

    Die BibelApp bietet speziell für die Passionszeit viele Lesepläne über den gesamten Verlauf von 40 Tagen an. Suche hier einfach nach dem Begriff „Lent“ oder „40 Days of Lent“ und dir werden viele wertvolle Lesepläne inkl. Andachten zu diesem Thema angeboten.

    Die Webseite bibleserver.com bietet einen deutschen Leseplan für 40 Tage an, den du speziell für diese Zeit abonnieren kannst.

    Eine andere Empfehlung wäre einfach die, dass du in 40 Tagen das Johannesevangelium durchliest.

    Ich empfehle nicht, die Fastenzeit mit bestimmten anderen Büchern zu gestalten. Bücher können ebenfalls vom Wesentlichen ablenken (vielleicht solltest du, wenn du eine „Leseratte“ bist, sogar auf Bücherlesen in dieser Zeit ganz verzichten?).

  3. Gib deinem Tag eine Struktur.

    Struktur ist wie ein Flussbett, es verhindert, dass das Hinterland überschwemmt wird. Wenn du nicht willst, dass dein Tag von „spontanen Entscheidungen und Launen“ anderer Dinge oder Menschen „überschwemmt“ wird, dann solltest du hier eine wichtige geistliche Disziplin einüben: freiwillige und bewusste Abgrenzung. Natürlich sollte dein Tagesplan in deine momentane Lebenssituation passen, vermeide allerdings, dass du einfach so in den Tag hineinlebst – das öffnet immer die Tür für Dinge und Menschen, die dich eher zerstreuen als sammeln und aufbauen. Ein simpler Plan kann z. B. so aussehen:

    • Schlafen gehen vor 22 Uhr (in der Bibel beginnt der Tag immer mit dem Abend!)
    • Aufstehen um 6 Uhr
    • Morgentoilette
    • Zeit der Andacht mit Gebet, Bibellese, Meditation, Fürbitte…
    • Frühstück (oder auch Verzicht)
    • Arbeitszeit
    • Pause (nimm dir ein paar Minuten für Stille und Besinnung)
    • Mittagszeit (oder auch Verzicht)
    • Arbeitszeit
    • Feierabend (evtl. Abendbrot)
    • Spaziergang durch den Wald (ca. 40 min)
    • Sport, Gemeinschaft, Familie, Hobbys

Bei einem strukturierten Tag geht es immer darum, dass er dir dienen soll und nicht du ihm. Du solltest aber auch nie mehr als 70% deines Tages verplanen, ansonsten wird er sich für dich wie ein Korsett anfühlen. Flussbett ist die bessere Analogie – du sollst in deinen Flow kommen!

Okay, das sind nur ein paar wenige Ideen und Tipps, wie du in deine Passionszeit gehen kannst. Wenn du deiner Fantasie und Kreativität freien Raum lässt, dann entsteht dabei bestimmt etwas, das deinem Leben noch viel mehr Freiheit, Fokus und Flow geben wird. Und du wirst aus der Passionszeit ganz bestimmt mit neuer Passion herauskommen.

Pastor Jacob Wiebe