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Ein Tag in Korinth. 2. Staffel: Sex and the City

TAG 1

Nacktheit, Erotik und Sexualität waren im antiken Rom allgegenwärtig. Hier siehst du eine Statue der Göttin Aphrodite (römisch Venus) (Bildquelle: Metropolitan Museum of Art, New York). Sie war eine Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit. Zu ihrer Verehrung gab es in Korinth einen großen und bekannten Tempel.

Wenn man eine Stadt wirklich kennenlernen will, muss man auch ihre Kunst und Kultur kennenlernen. Korinths Anfänge gehen bin in das 10. Jahrhundert v. Chr. zurück. In der Zeit der klassischen Antike, war die Stadt unter griechischer Vorherrschaft. Im Jahr 146 v. Chr. erklärte der Achaiische Bund Sparta den Krieg. Die Römer belagerten damals und besiegten Korinth. Alle Einwohner wurden entweder getötet oder als Sklaven verkauft. 100 Jahre lang waren die Ruinen dieser Stadt sich selbst und den wilden Tieren überlassen, bis Julius Cäsar ihre strategische Bedeutung erkannte und sie wieder aufbaute. Aufgrund der geographischen Landenge (Isthmus) und den beiden Handelshäfen im Norden und Süden, kam Korinth schon bald wieder zu großem Wohlstand und wurde dann auch zur Hauptstadt der Provinz Achaja. Als Handels- und Hafenstadt hatte Korinth seit der hellenistischen Zeit bereits einen gewissen Ruf. Der Historiker Strabo berichtet z. B., dass es zu der Zeit allein im Tempel der Liebesgöttin Aphrodite 1000 Sexpriesterinnen gegeben haben soll, die den Besuchern sakralen Sex anboten. Heute (also in der Zeit des Apostels Paulus) hat sich das in dem Tempel etwas geändert, da Aphrodite von den Römern zur Venus umbenannt wurde. Und Venus gehörte bei den Römern zur kaiserlichen Familie und war damit auch Teil des Kaiserkults. Damit hat man auch die „Moral“ dieser Göttin angehoben. 

Nichtsdestotrotz ist Korinth bis heute immer noch für das bunte und exzessive Sextreiben bekannt. Sex ist hier allgegenwärtig. Man kann ihm nicht entfliehen, selbst wenn man nur einfach so durch die Straßen schlendert. Die 300 Bordelle sind über die ganze Stadt verteilt. Sie sind nicht irgendwo versteckt, nein, sie sind von überall frei zugänglich. Einige von ihnen haben noch nicht einmal Türen. Von der Straße kann man alles beobachten und hören, was hinter den vier Wänden geschieht. Groteske pornographische Wandmalereien stellen sehr anschaulich die Angebote dar, die man im jeweiligen Etablissement gegen wenig Geld bekommen kann. Auf den Märkten bekommt man Gefäße des alltäglichen Gebrauchs wie Töpfe, Vasen, Becher oder Krüge mit eindeutigen erotischen Darstellungen. Überall auf den Wänden der Häuser liest man Graffiti, die unzüchtige Botschaften enthalten. Auch die öffentlichen Bäder sind Zentren der Wollust. Die Wandmalereien in den Umkleidekabinen laden zu sinnlichen Abenteuern ein. 

Dazu gibt es bestimmte Kulte wie z. B. den Dionysos-Kult (der antike Gott des Weins, von den Römern Bacchus genannt), die in orgastischen Paraden öffentlich durch die Straßen der Stadt ziehen: trunken, nackt und schamlos einander begattend. Auch in der christlichen Gemeinde gibt es große Probleme mit der Sexualethik. Einige leben auch als Christen genauso weiter, wie vor ihrer Taufe. Sie gehen in Bordelle,  nehmen an den Dionysos-Paraden teil und was noch viel schlimmer ist, sie beteiligen sich an den gesellschaftlichen Gelagen der Oberschicht. Gelage sind Partys der wohlhabenden Elite der Koloniestadt. Viel Essen und viel Wein spielen dort immer eine große Rolle. Doch zur späten Stunde verlassen die eigenen Ehefrauen diese Partys , denn sie wissen, was jetzt kommt. Sklavinnen, Sklaven und Prostituierte werden nun in den Saal geleitet und bieten allen frei ihre Dienste an. Sex wird nach Belieben, in jeder nur erdenklichen Form und auch mit gleichgeschlechtlichen Partnern vollzogen. Das ist hier so gesellschaftlich ohne jedwede Tabus akzeptiert. 

Wenn man all das so sieht und hört, kann man sich nicht vorstellen, dass die Römer ein sehr strenges Gesetz gegen Ehebruch, Prostitution und Scheidung haben. Ja, das haben sie in der Tat. Es heißt Rex Iulias und stammt aus der Feder des Kaisers Augustus. Er wollte seinerzeit durch diese Sittengesetze die Moral der römischen Bürger anheben. In der Praxis wurde das Gesetz aber lediglich so ausgelegt und angewandt, dass es keine porneia (steht für Prostitution, Ehebruch, Vergewaltigung und Homosexualität) unter der elitären Oberschicht Roms geben durfte. Die porneia der Oberschicht mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft (Freigelassene, Sklaven, Nichtbürger Roms) war dagegen kein Vergehen, somit legal und von der Strafverfolgung ausgeschlossen. Einige Christen in dieser Stadt haben das Evangelium noch nicht wirklich verstanden. Sie leben immer noch nach den Maßstäben der Welt. Sie gehören zur Elite der Gesellschaft und deren Lebensmotto lautet: Alles ist erlaubt! Ihr Umgang mit Sex unterscheidet sich in keiner Weise von dem der römischen Heiden. Und das ist ein Problem. Sie lassen sich auch von keinem etwas sagen, selbst vom Apostel Paulus nicht. Ich bin gespannt, wie das hier weitergeht…


TAG 2

Na ja, es musste ja so kommen. Heute war ich mal wieder in einer der Versammlungen der Christen hier in der Stadt. Dass die ein Problem haben ist offensichtlich. Das Treffen ist gekennzeichnet durch furchtbare Tumulte. Es herrscht ein heilloses Durcheinander und das ist noch untertrieben. Alle sprechen wild durcheinander in irgendwelchen Sprachen, die keiner versteht – ich zumindest nicht. Als ob das allein nicht schon abschreckend genug wäre. Denn auch wenn mal jemand aufsteht, um in verständlicher Sprache (die nennen es hier Prophetie) zu reden, springt jemand anderer auf und unterbricht ihn. Ich sag’s euch, ein solches Chaos gibt es noch nicht einmal auf den isthmischen Märkten am Hafen von Kenchräa. Es ist laut und man streitet sich dann auch noch in aller Öffentlichkeit, ob Petrus, Paulus oder Apollos der richtige Weisheitslehrer ist. Auf der Agora der Philosophen geht es gesitteter zu als hier in der Gemeinde zu Korinth.

Aber worüber ich eigentlich schreiben wollte, ist ein Mann Namens Appropolos (ich habe seinen Namen geändert, weil er sehr einflussreich ist und ich deswegen vielleicht in Schwierigkeiten kommen könnte). Auch Appropolos hatte an diesem Sonntag etwas zu sagen. Als er aufstand, um seine Rede zu halten, flüsterte eine Sitznachbarin mir ins Ohr: „Die Frau, die neben ihm sitz ist seine Stiefmutter“. Okay, dachte ich, was soll’s? Aber die Frau tuschelte weiter: „Er hat mit ihr ein Techtelmechtle“. „Du meinst…“ – erwiderte ich, aber ich wagte es nicht aussprechen. „Ja, genau, die beiden sind ein Paar“ – sagte die Frau neben mir etwas lauter und lachte dabei laut. Jeder in der Gemeinde weiß von der Affäre, aber keinen kümmert es scheinbar. Appropolos ist sehr reich und gehört zum Senat dieser römischen Kolonie. Seine inzestuöse Beziehung ist zwar nach römischem Recht, dem Rex Iulias, verboten, aber wenn man Macht und Einfluss besitzt, kann man auch so etwas mittels teurer Anwälte und zugeneigter Richter „regeln“. Ich bin schockiert und kann es nicht glauben, dass derselbe Mann hier gerade eine feurige Predigt über Jesus hält.

Aber die Frau an meiner Seite war heute sehr redselig und somit gingen ihre schlüpfrigen und anzüglichen Geschichten weiter. Dazu muss ich etwas erklären. Im römischen Reich gibt es ein Ritual für Jungen, wenn sie in die Männerwelt aufgenommen werden. Jedes Jahr, am 17. März, gibt es hier ein großes Bacchus-Fest zu Ehren der Fruchtbarkeitsgötter Liber und Libera. An diesem Tag wird Jünglingen, die die Volljährigkeit erreicht haben (mit 14 Jahren), in einer feierlichen Zeremonie die Toga Virilis angelegt (s. meine Zeichnung rechts). Diese Toga macht aus einem Jüngling einen Mann. Nun ist er voll geschäftsfähig und er kann dazu auch noch an allen Veranstaltungen der „echten Männer“ teilnehmen, so z. B. auch an Gelagen. Diese Veranstaltungen waren Parties, die eine Mischung von Fressgelagen und Sexorgien waren. Nun, solche Parties waren, nach den Erzählungen dieser Frau im Gottesdienst, unter den Christen hier sehr beliebt. Während sie mir das erzählte, sah ich viele jungen Männer im Gottesdienst in eine solche Toga Virilis gekleidet. Dieses Kleidungsstück war eine Ehre für jeden jungen römischen Bürger und man trug es mit leicht geschwellter Brust. Jeder, der in Korinth Rang und Namen hatte, wurde regelmäßig zu solchen Gelagen eingeladen. Auch einige angesehenen Christen hier haben einen solchen Status und sind für das Ausrichten solcher Orgien bekannt. 

Ich wüßte gern, was der Apostel Paulus, der Gründer dieser Kirche, zu all dem Treiben hier sagen würde. Weiß er eigentlich etwas von all dem? Ich muss mal jemanden fragen, der mit Paulus im Kontakt steht…